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Downshifting: Ich wünsche mir einfach weniger

Michael Grotherr

VP Central Europe

Weniger Geld? Weniger Erfolg? Das ist nicht erstrebenswert, wie man zuerst denkt. Doch der Generationenwechsel seit dem Millennium hat zu einer ganz neuen Art der Work-Life-Balance geführt: Downshifting nennt man es, wenn Menschen ihre Karriere bewusst drosseln, um mehr Freizeit oder andere Aktivitäten zu haben. Was ist dran an dem Motto: Leben IN – Karriere OUT.

Laut dem offiziellen Stressreport klagen zwei von drei Beschäftigten in Deutschland über starken Termin- und Leistungsdruck. Die Hälfte fühle sich demnach erschöpft, ein Drittel kann nachts nicht schlafen. Aber auch Werktätige, die weniger gebeutelt sind vom Berufsalltag, träumen davon, aus dem Alltag auszubrechen. Ist das jetzt nur Phase einer Depression oder vielleicht die Chance auf ein neues Leben?

Oberflächlich betrachtet mag diese Entwicklung gar nicht so neu sein, schließlich sind Depressionen und Burnout keine neuartigen Auswüchse der Generation Y. Jedoch kristallisiert sich beim Downshifting ein klarer Unterschied zur üblichen Sehnsucht nach Work-Life-Balance heraus: Früher waren es häufig Männer zwischen 40 und 50 Jahren, die es schnell nach oben auf der Karriereleiter gebracht haben – zu schnell, wie es scheint. Denn oft empfanden diese Menschen am Ende der Sprossen ein stechendes Gefühl im Kopf. „War es das jetzt?“ – diese Frage keimte dann plötzlich in ihnen auf. In jüngster Zeit erleben Psychotherapeuten aber, dass immer öfter junge Menschen um Rat suchen, damit sie nicht in die Stressfalle tappen: Sie wechseln die Firma, wenn die Chemie im Team nicht stimmt, sagen auch „Nein“ zu einer Beförderung, wenn das Privatleben zu sehr darunter leidet. Daran sind die Arbeitgeber auch zuweilen selber schuld, wenn immerzu nur von Innovationen gesprochen wird, aber die Betriebsabläufe noch wie in den 80er Jahren ablaufen – nur dass es jetzt Internet gibt. Jüngere Generationen haben zudem bei ihren eigenen Eltern gesehen, dass Leistung und beruflicher Erfolg auf Dauer nicht glücklich machen – zumal die Finanzkrise und auch zuvor das Verhalten mancher Unternehmen zeigte, dass die Geschäftsführungen keine Gewissensbisse plagen, wenn sie trotz guter Auslastung die Produktionsstätten ins billige Ausland verlagern und alle Mitarbeiter kündigen. Langfristige Arbeitsverhältnisse sowie Loyalität gegenüber einer Arbeitgebermarke scheinen dadurch auch so Relikte aus den 80er Jahren zu sein. Dieser Bumerang-Effekt hat die junge Generation geprägt und gezeigt, dass eine steile Karriere ein zweischneidiges Schwert sein kann. Man muss also gar nicht mehr den Gipfel der Arbeitswelt erklimmen, um zu erkennen wie einsam es um einen werden kann.

Der ewige Konflikt: Traum gegen Tristesse

Die Frage wie viel Arbeit denn nun wirklich zu viel sei, muss jeder für sich selbst beantworten. Oft sieht man sich in beiden Richtungen leider mit diversen Vorurteilen konfrontiert. „Faule Socke“, wenn man sich für das Downshifting entscheidet – „Workaholic“, wenn man ungebremst weitermacht. Dabei ist das Downshifting oft die letzte Möglichkeit zur Abwendung eines Burnout-Syndroms oder einer ähnlichen stressbedingten psychischen oder physischen Erkrankung. Downshifting bedeutet, sich von dem hohen Level an Stress, Hektik und Zeitnot zu verabschieden, die bedauerlicherweise in zu vielen deutschen Betrieben überhandgenommen haben und dabei die Förderung und Entwicklung ihrer Mitarbeiter außer Acht ließen. Denn Downshifting geht natürlich auch mit der Reduktion der Arbeitszeit und einem geringeren Einkommen einher. Das Thema ist also sowohl für den Chef als auch dem Angestellten recht brisant und sollte vorher gut geplant sein.

Da die Arbeitswelt sich jedoch in einem Wandel befindet, müssen auch Firmenlenker endlich die alten Bismarck’schen Dogmen über Bord werfen und ihr Talent Management genauso flexibel aufstellen, wie sie es von ihren Produkten und ihren Dienstleistungen behaupten. Denkschulen gibt es hier schon genug und einige Konzepte werden bereits in großen Maßstäben geprüft. Die Skandinavier machen es mal wieder vor. Als Beispiel sei der Sechs-Stunden-Tag genannt, der in vielen schwedischen Unternehmen als Pilotprojekt eingeführt wurde. Das Modell beruht auf der Annahme, dass Arbeitnehmer in nur sechs Stunden konzentrierter und dadurch ebenso produktiv wie in acht Stunden arbeiten können. Ob das stimmt, wird sich zeigen. Aber auch in internationalen Konzernen wagt man sich langsam an echte Innovationen bei der Mitarbeiterführung heran. 2014 schaffte Microsoft beispielsweise die Kernarbeitszeit ab, Bosch lockerte die Anwesenheitspflicht und auch Daimler überlegt, wie Mitarbeiter Beruf und Familie besser unter einem Hut bringen können.

Der Weg aus Überfluss und Überforderung?

Bis zum Jahr 2030 soll die Anzahl der Deutschen im erwerbsfähigen Alter um 8 Millionen sinken. Daher müssen neue Konzepte herangezogen werden, um Freigeister zu halten. Downshifting wäre daher ein Modell, um besonders Fachkräfte wieder länger an Unternehmen zu binden. Doch wie gelingt diese freiwillige Selbstkürzung der Arbeit? Der Instrumentenkoffer ist in dieser Hinsicht prall gefüllt: Jobsharing, Teilzeit, Gleitzeit oder Sabbatical. Denn der Wunsch der Menschen nach mehr Flexibilität und Individualität wird auch für Unternehmen zum Erfolgsfaktor. Sie müssen sich im „War for talents“ darauf einstellen, flexible Angebote zu schaffen, ansonsten suchen sich begehrte Fachkräfte einen anderen Arbeitgeber. Im Grunde haben Unternehmen nur zwei Möglichkeiten: Downshifting zulassen oder von vornherein flexible Arbeitszeitmodelle ermöglichen. So können die Mitarbeiter von BMW beispielsweise schon seit 2008 am „Vollzeit-Select“-Programm teilnehmen, das ihnen jährlich 20 zusätzliche Urlaubstage gewährt. Die Resonanz ist durchaus positiv: Seit der Einführung ist die Zahl der Sabbaticals von 1300 auf 500 zurückgegangen. Insgesamt nahmen rund 3500 Mitarbeiter das Plus an Urlaubstagen in Anspruch.

Wenn mehr Flexibilität jedoch nicht mehr ausreicht, um die Batterien der Mitarbeiter aufzuladen, ist ein Sabbatical häufig die beste Lösung – viele Unternehmen haben sich darauf eingestellt und bieten bereits verschiedene Lohn- und Arbeitszeitmodelle an. Der Arbeitsvertrag bleibt dabei bestehen, sodass die Mitarbeiter auch während der Auszeit ihr Gehalt erhalten. Der eigentlichen Auszeit geht dann eine Art Sparphase voran, in der der Arbeitnehmer beispielsweise Überstunden und Urlaubstage auf ein Zeitkonto einzahlt. Am beliebtesten ist aber eine Variante, bei der für etwa drei Jahre ein Teilzeit-Modell vereinbart wird, in dem der Arbeitnehmer jedoch Vollzeit arbeitet und sich so Monat für Monat freie Zeit erarbeitet. Während des Sabbaticals erhält er dann ein reduziertes Gehalt. Im Idealfall kehrt der Arbeitnehmer danach zu seiner alten Stelle zurück.

Die Botschaft, dass jüngeren Mitarbeitern die Balance zwischen Arbeit und Freizeit angeblich wichtiger sei als der schnöde Mammon, scheint mittlerweile auch in Wirtschaftskreise vorgedrungen zu sein. Doch neben jungen, abenteuerlustigen Talenten wagen auch viele Führungskräfte den kurzzeitigen Absprung. Eins dürfte klar sein: Downshifting darf nicht mehr als Karrierekiller angesehen werden. Für Unternehmen entsteht so zwar ein höherer Verwaltungsaufwand, doch der lohnt sich in der Regel: Zufriedene und entspannte Mitarbeiter sind schließlich deutlich motivierter und leistungsfähiger. Und überhaupt … wie klingt es, wenn man nach gut ausgebildeten Fachkräften schreit und im Bewerbungsgespräch als Personaler ungefähr so kontert: „Also dies und das wäre zwar möglich, ist uns aber den Verwaltungsaufwand nicht wert.“ Solche Firmen dürfen sich dann auch nicht wundern, dass sie besonders unter dem Fachkräftemangel leiden.

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